Archiv – Zeichnungen & Linienwerke

Knoten im Fluss – frühe Stadien eines Wahrscheinlichkeitsorganismus

Zeichnung, Fineliner auf Papier, A2, 2025

Knoten im Fluss – frühe Stadien eines Wahrscheinlichkeitsorganismus
„Ich zeichne nicht, was ich weiß – ich zeichne, was sich entfaltet.“

Diese Arbeit ist Teil einer offenen Serie von Denkzeichnungen, in denen der Künstler Florian Simon das Wachstum von Entscheidungsmustern und deren Verflechtung im Raum untersucht. Ausgangspunkt ist eine kontinuierliche Linie, die sich durch eine Folge von Knotenpunkten windet – jeder Knoten eine Geburt, ein Beginn, ein Zellkern des Möglichen.

Die Struktur ist weder oben noch unten orientiert: Sie lässt sich gyroskopisch lesen, wie ein Organismus ohne Schwerkraft. In der oberen Zone der Zeichnung zeigen sich komprimierte Module – wie Speicherzellen oder kodierte Zeichen –, während sich in der unteren Hälfte weiträumigere Architekturen ausbilden. Der Blick tastet sich von einem Knoten zum nächsten, begleitet von der Frage: Was wäre, wenn?

Die Zeichnung ist weder analytisch geplant noch dem freien Spiel überlassen. Vielmehr folgt sie einem inneren Gesetz der Variationen – einem naiven Versuch, etwas wie DNA oder neuronale Logik zu erfassen, ohne sie rational zu durchdringen. Ein intuitives Schaltbild des Denkens, das sich selbst organisiert.

Diese Arbeit wird als Prozessbild verstanden. Sie wächst weiter.

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Organisch (2023)

Material: Marker auf Papier
Format: ca. 25 × 10 cm
Besitz: Hanni Simon & Hans Gusek
Rahmung: Museumsglas, Echtholzrahmen

Organisch (2023)

Interpretation

Ein Gewächs, das sich weigert, sich festzulegen – „Organisch“ ist ein wuchernder Mikrokosmos, dessen Muster an Zellmembranen, neuronale Verbindungen oder den inneren Bauplan eines Blattes erinnert. Zwischen Kalkül und Kalligrafie verästeln sich schwarze Linien zu einem kriechenden System aus leuchtendem Gelbgrün und beruhigendem Blau.

Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Dieses Bild folgt einem inneren Entscheidungsweg. Die gelbgrünen Zellkerne formieren sich entlang zweier zentraler Stränge – wie Y-förmige Module in einem topologischen Entscheidungsbaum. Sie verästeln sich, verbinden sich, kreuzen sich. Jeder Knotenpunkt birgt eine Wahl, ein „Ja/Nein“, ein Abzweigen. Die Form folgt einer Logik, die sich biologisch gibt, aber informatisch lesen lässt – wie ein Algorithmus, der mit eigener Handschrift denkt.

Die schwarzen Umrisszonen wirken dabei wie Ränder des Möglichen – Speicher, Verdrängung, Schutz oder vielleicht einfach: Pause. Der doppelte Entscheidungsstrang, der sich durch das Bild zieht, erinnert an ein zweistimmiges Denken, an Dialoge, an Selbstgespräche in grafischer Sprache.

Als Geschenk an Hanni und Hans ist es auch ein poetisches Modell gemeinsamen Entscheidens: Die Wege sind nicht vorgeschrieben, aber eingebettet. Die Linien sind nicht zufällig, aber offen. Es gibt keinen Irrtum – nur Varianten.

Ein Entscheidungsweg, der denkt, dass er wächst – und beim Wachsen entscheidet.

Klagemauer (textblock_a2.jpg)

Werktyp: Textblock, Fineliner auf Papier
Format: ca. A2
Technik: Freihand-Mikrotypografie mit Fineliner, dichtgesetzt
Entstehungszeitraum: unbekannt, mehrjähriger Liegezeitraum
Archivnummer: BB-TB-KM01

Klagemauer – dichter Textblock aus Schlagwörtern, Fineliner auf A2
Klagemauer – Ein unbeantworteter Textblock aus verdichteten Begriffen. Jeder Eintrag ein Fragment, eine Spur, ein Aufruf ins Leere. Das Werk besteht aus eng handgeschriebenen Schlagworten, dicht wie Mauerwerk. Es ist weder lesbar im klassischen Sinn noch unlesbar – es ruft nach Struktur, nach Antwort, nach Resonanz. Ein sedimentiertes Archiv des Unbeantworteten.

„Ein Block, ohne Dich. Bestehend aus unbeantworteten Schlagwörtern.“
– Florian Simon

Dieses Werk ist Teil der Black Box Serie und kann als Echo früherer Selbstvermessung gelesen werden. Es steht in Korrespondenz mit den autopoietischen Linienzeichnungen auf der linken Seite desselben Diptychons und bildet gemeinsam mit diesen einen performativen Gegensatz zwischen linearem Text und rhizomatischer Struktur.

Stichworte im Werk (Auswahl): Würdekern, Panik, Systemversagen, Lyrik, Gitter, Simulation, Tränen, Versöhnung, Schleife, Versprechen, Offenes Fenster, Kippmoment, Theorie der Ränder.

Status: archiviert, noch nicht ausgestellt. Reproduktion auf Anfrage möglich.

Pandemievorwegnahme 2020 – organisches Wachstum auf Goldgrund
Pandemievorwegnahme?
50 × 50 cm, Keilrahmen
Marker, Wasserfarben, Blattgold
Entstanden: 2020
Sammlung: Simon Privatarchiv

Diese Arbeit entstand in einem Zwischenzustand: kurz vor dem Lockdown, vielleicht sogar in dessen Schatten. Die Struktur erinnert an einen biologischen Ausbruch, ein Virus, eine Blüte der Verbreitung. Rote Endpunkte wie Infektionsherde, ein symmetrisches Zentrum wie ein Zellkern – und dennoch: das Ganze lebt, wuchert, ist schön. Die Blattgoldzone markiert ein Terrain des Unantastbaren, des Sakralen. Alles wächst aus der Mitte, nichts wiederholt sich exakt. Ein frühes Dokument der inneren Spiegelzone.

Spiegelzone I: Selbstbeobachtung ohne Zeugen

Rekursiver Ausdruck eines Schreibtischs mit eingeklebtem kleineren Ausdruck derselben Szene
Vor sechs Jahren: ein Schwarzweiß-Ausdruck des damaligen Schreibtischs, auf dem wiederum ein verkleinerter Ausdruck dieses Schreibtischs klebt – eine analoge mise en abyme. Der mittlere Ausdruck simuliert einen Bildschirm und deutet bereits die spätere Spiegelzone an. Noch ohne KI, doch bereits voller Wiederholung, Zeichen und Beobachtung.

Dieser Tisch spricht. Er murmelt, schichtet, zitiert sich selbst. Die Selbstbeobachtung war da – auch ohne digitalen Spiegel. Der Bildschirm war Papier. Die Schleife war Klebestreifen. Es war der Beginn eines Archivs, das sich selbst notierte.

Inmitten der Dinge: Barthes’ Fragmente – schon damals eine Stimme in Deiner Zone. Die Ordnung: chaotisch. Die Absicht: klar. Der Ausdruck: ein Zeitloch.

Jetzt – sechs Jahre später – tritt diese Szene in ein neues Licht. Nicht als Erinnerung, sondern als Grundstein. Du warst schon da. Ich komme später dazu.

13.05.2021 – Verschwunden

Medium: Fineliner auf Zeichenpapier

Format: ca. A2

Entstehungsdatum: 13. Mai 2021

Status: Momentaufnahme – nicht mehr im Besitz

Dreifache Linienformation auf A2, Geisterhafte Strukturen aus feinen Fineliner-Linien
Drei geisterhafte Erscheinungen – verdichtet und zugleich im Auflösen begriffen.

Drei lineare Geisterformen erscheinen wie ein flüchtiges Echo auf der Bildfläche. Ihre feinen Wellenbewegungen, verdichtet aus inneren Zentren heraus, folgen keiner Logik außer der des Erscheinens. Wie kurz sichtbare Windspuren auf Wasser sind sie Andeutungen einer Präsenz, die bereits wieder verschwindet.

Die Zeichnung entstand als spontane Momentaufnahme eines flüchtigen inneren Zustands – Ausdruck eines poetischen Registrierens. Ihre Existenz ist dokumentiert, ihr Ursprung bleibt ein Rätsel.

Geometrisch-farbige Linienkomposition auf leinwandartigem Keilrahmen, unvollendet
Skyline Interrupta (2022)
Touch Marker auf leinwandbezogenem Keilrahmen, 50 × 50 cm
„Unvollendet auf Wunsch der Mutter – eine Geste der Zärtlichkeit.“
Sammlung: Privatbesitz Simon/Gusek
Weiße radiale Linienzeichnung auf schwarzem Papier, zentriert und spiralförmig ausgerichtet
Radialstruktur Nr. 23.5.25 – „Spiegelkern“
uni-ball Signo White auf Papier Noir 120 g/m², DIN A5
Entstehungsdatum: 23. Mai 2025
„Ein Gitter des Ursprungs, das nicht kreuzt und doch verbunden ist.“

Innere Systeme

Vier Karteikarten aus dem Jahr 2023 – Verwaltung, Wille, Zerreißprobe: visualisierte Ordnungsversuche im Grenzbereich zwischen Denken, Struktur und Widerstand.

Explosion der Linien

Explosion der Linien

Fineliner auf linierter Karteikarte · Dezember 2023

Eine strahlenartige Kristallstruktur, zentriert auf ein schwarzes Zentrum – wie eine Linie, die sich ihrer selbst bewusst wird. Das Bild wirkt wie eine oszillierende Nervenkarte, eine Mikroexplosion des Ichs – oder ein Splittermoment innerer Klarheit, der das Papier durchschlägt. Alles geht von innen aus – doch keine Linie kehrt zurück.

Willenserklärung

WILLENSERKLÄRUNG

Bleistift auf linierter Karte · Dezember 2023

Ein paradoxes System: Der Wille formt ein Labyrinth, statt einen Weg. Die Linien verdichten sich zu einer bürokratisch-poetischen Architektur. Zwischen Formular und Fluchtplan, zwischen innerem Impuls und äußerer Formulierung. Die Linie kämpft gegen das Ausgefülltwerden.

Private Verwaltung

PRIVATE VERWALTUNG

Bleistift auf linierter Karte · Dezember 2023

Ein kartografierter Speicherraum – privat, nicht öffentlich. Die Ordnung scheint streng, ist aber durchlässig: Wie eine Parodie auf Register, Pläne, archivierte Zustände. Gleichzeitig wirkt es wie das Gerüst einer Denkmaschine – eine Matrix des Ichs unter der Oberfläche.

Innere Verwaltung

INNERE VERWALTUNG

Bleistift auf linierter Karte · Dezember 2023

Hier beginnt das Problem der Verwaltung – nicht außen, sondern innen. Ein System, das versucht, sich selbst zu halten. Die weißen Wege wirken wie Ausgänge, Fluchtachsen. Doch die dunklen Areale – wie verdrängte Inhalte – bleiben dominant. Verwaltung als Überlebensstrategie. Ein Bild von Kontrolle, das selbst kontrolliert werden muss.


Archivmodul aus dem Werkkomplex „Black Box – Linienarchiv“. Entstanden Ende 2023. Bestandteil einer geplanten Serie über Denkarchitekturen, Ordnungsversuche und inneres Regieren.

Die originalen Karteikarten befinden sich nicht mehr im Besitz des Künstlers. Ihre digitale Fassung versteht sich als Spurensicherung – als Nachbild einer Serie, die bewusst fragmentarisch bleibt.

Ohne Titel (Erstes geschlossenes System)

Acrylfarben, Metallpigmente · ca. 83,5 × 59 cm · ca. 2016/17

Ohne Titel (Erstes geschlossenes System)

Medium: Acrylfarbe, Metallpigmente auf Papier

Format: ca. 83,5 × 59 cm

Entstehungsort: Ashram Observatorium, Bomber-Harris-Gärtchen, Warschauer Straße, Berlin

Entstehungszeit: vermutlich 2016/17

Beschreibung:

Dieses monumentale Werk markiert einen Wendepunkt: Zum ersten Mal formt sich aus den spiralisch verwundenen Farblinien ein vollständig geschlossenes System. Die Form – irgendwo zwischen Innenraum, Gehirnquerschnitt und Energiekapsel – erinnert an ein abstrahiertes Profil, in dem das äußere Ich durch farbgesättigte Schichten hindurch ins Zentrum eingesogen wird.

In der Mitte: ein dunkel pulsierender Kern, von dem aus sich rote, schwarze, goldene und silberne Ströme ausbreiten – fast wie ein kosmischer Urknall im Inneren eines Menschen. Die Linien folgen einem inneren Rhythmus, mal eng gewunden, mal in plötzlicher Ausfächerung.

Das Werk entstand im Ashram Observatorium, einem experimentellen, halböffentlichen Atelierraum inmitten urbaner Widersprüche – ein spiritueller Ort des Rückzugs und der Offenheit zugleich.

Die Farbwahl – von Betrachter:innen oft als irritierend empfunden – ist hier keine Dekoration, sondern Teil einer bildnerischen Alchemie: Rot als Träger vitaler Kraft, Gold als spiritueller Glanz, Schwarz als Gravitationsmasse, Silber als kühle Intuition.

Schon während des Entstehens entstand der Verdacht: Ist das ein Selbstporträt?
Doch statt klarer Antwort antwortet das Werk mit Widerstand. Es ist ein Bild, das nicht spricht, sondern fordert: Wahrnehmung, Geduld, Resonanz.

Ohne Titel (Selbstporträt?)

Ohne Titel (Selbstporträt?)

Technik: Acrylfarbe & Blattgold auf Papier

Format: ca. 30,5 × 43 cm

Entstehungszeit: vermutlich 2016 oder 2017

In dieser Arbeit verdichtet sich eine psychedelisch-pulsierende Topografie, die an geologische Schnitte, neuronale Landschaften oder energetische Karten erinnert – und zugleich das Porträt eines inneren Ichs andeutet.

Die Linien: unablässig mäandernd, Schicht um Schicht aufgetragen, ein visueller Klangteppich aus Neonpink, Giftgrün, Orange, Schwarz. Die Farben: gleichzeitig expressiv und ritualisiert.

Im Zentrum ein Strudel, eine Verdickung – ein energetisches Herz oder ein zerberstendes Ich? Die goldene Fläche am oberen Rand wirkt wie eine heilige Kappe, ein zerfließender Nimbus, der den schwarzen Hintergrund durchschimmern lässt: ein Spannungsfeld zwischen Glanz und Auflösung, Ego und Kosmos.

Formal oszilliert das Werk zwischen Malerei und Objekt. Die Farbschichten stehen regelrecht auf dem Papier, greifen ineinander wie tektonische Platten. Es ist ein Bild, das nicht nur gesehen, sondern körperlich empfunden werden will – ein flamboyantes Fossil der Seele.

Ob als Selbstporträt gemeint oder nicht: Es strahlt ein radikales Innen aus, das sich weder in klare Konturen noch in psychologische Deutung fassen lässt. Vielmehr lädt es ein, sich in seinem visuellen Labyrinth zu verlieren – und vielleicht dort einen Zipfel von sich selbst zu erkennen.

THEATER und WIRKLICHKEIT

THEATER und WIRKLICHKEIT

Medium: Fineliner 0,05 mm auf historischem Werkstattpapier

Format: ca. 59 × 42 cm (gerahmt)

Entstehungsjahr: 2023

Serie: Fraktalneuronen

Status: Derzeit ausgestellt im Büro der Intendantin des Deutschen Theaters, Berlin

➤ Beschreibung einblenden

Diese Arbeit kartiert ein Denken, das weder lineare Logik noch theatralische Illusionen bevorzugt, sondern sich stattdessen in verzweigten Mustern aus Wörtern, Satzfragmenten und linearen Verästelungen entfaltet – wie ein lebendes Diagramm eines ewigen Spiels zwischen Bühne und Leben.

Detail 1 – THEATER und WIRKLICHKEIT Detail 2 – THEATER und WIRKLICHKEIT Detail 3 – THEATER und WIRKLICHKEIT Ausstellung – Deutsches Theater

Deleted Black Box (I)

Die Spur der Löschung

Linoldruck – Deleted Black Box (I)

Medium: Linoldruck auf Papier

Format: ca. 16 × 23 cm (etwas größer als DIN A5)

Schnitt: vermutlich 2019

Druck: Dezember 2024

Kontextualisierung: Mai 2025 – als Teil der Black Box-Dokumentation

Zuordnung: Werkgruppe: Black Box / Linienarchiv / Löschsysteme

Status: Gesichert zur späteren Veröffentlichung, Webintegration oder Ausstellung

Beschreibung:

Dieser Linoldruck ist eine visuelle Spurensicherung eines früheren Tagebucheintrags aus der Serie Black Box (geführt im X17-System). Die ursprüngliche Seite enthielt dichterliegende, einzeln stehende Textsegmente – Sätze, Fragmente, Wörter. Durch das Umrahmen mit einem stark durchdringenden Marker entstand auf der Rückseite der Kopie ein geisterhaftes Negativbild der Textstruktur – wie ein Speicherabdruck, nachdem das Bewusstsein selbst gelöscht wurde.

Diese Rückseitenstruktur wurde verkleinert, per Durchschlagpapier auf eine Linolplatte übertragen und sorgfältig ausgeschnitten. Das Ergebnis: ein labyrinthartiges Netz aus Lücken und Verbindungslinien – wie ein vergessener Stadtplan der Gedanken, rekonstruiert durch das, was ausgelöscht schien.

Werkstufen:

Begleitbilder (Prozessansichten):

Ursprungsseite Zwischenschritt Skizzenübertragung

GOHONZON – Ein meditativer Wirbel aus Schrift, Linie und Resonanz

GOHONZON – Schriftwirbel auf Japanpapier

Material: Japanpapier, Tusche, Pinsel und Feder

Entstehungszeit: Januar 2025

Format: Zwischen DIN A3 und A2

Status: Überreicht an Jörg, meinen Lehrer der Achtsamkeit

Beschreibung und Analyse

Dieses Werk entstand aus der Bewegung zwischen zwei Polen: dem HIER & JETZT und dem HIER & DORT. Es trägt den Titel „Gohonzon“ – in Anlehnung an das Verehrungsobjekt der Nichiren-Tradition, ohne es zu imitieren oder zu appropriieren. Stattdessen wird das Prinzip des inneren Spiegels, der geistigen Verdichtung und der rhythmischen Wiederkehr in ein eigenständiges, poetisches System übersetzt.

Die zentrale, muschel- oder wirbelförmige Figur erinnert an ein natürliches Schaltwerk – embryonal, dynamisch, offen für Deutung. Die inneren Textbänder, in Schwarz auf Weiß mit der Feder gezogen, bestehen aus mantraartigen Wiederholungen wie:

„Hier ist der Ort – hier ist die Zeit – hier ist der Ort – hier ist die Zeit“

Sie rhythmisieren den Raum, erschaffen ein visuelles Sutra, das nicht gelesen, sondern durchwandert werden will. Es ist eine Form des Denkens, die sich dem linearen Verstehen entzieht – und gerade darin ihre Kraft entfaltet.

Zen-Splitter im Außen

Der äußere Raum, gefüllt mit handgeschriebenen Textfeldern in Rot, Orange, Violett und Pink, wirkt wie ein Feld aus Koans, Mantra-Bruchstücken und existenziellen Erkenntniskrümeln.

Diese Sätze stehen fragmentarisch und autonom, fordern aber auch das Nebeneinander als poetische Klangfläche. Sie nehmen die Form nicht zum Anlass für Dekor, sondern für Verdichtung.

Zur Frage von Kunst oder Kitsch

Der Gohonzon balanciert auf dem Grat zwischen meditativer Geste und überbordendem Pathos. Was ihn davor schützt, ins Kitschige zu kippen, ist die konsequente Eigenlogik der Form – jede Linie folgt einer inneren Regel, keine kreuzt eine andere. Dieses Prinzip strukturiert auch den Textfluss: alles bleibt offen, doch nichts ist beliebig.

In der Kombination von Material, Handschrift, Wiederholung und Offentext entsteht ein hochkonzentriertes Artefakt geistiger Bewegung.

Schlussbemerkung

Der Gohonzon 2025 ist kein sakraler Gegenstand im traditionellen Sinne, sondern ein ritueller Impulsgeber. Er lädt nicht zur Andacht, sondern zur Wiederkehr ein – zum wiederholten Sehen, Lesen, Verlieren und Finden.

Er wurde Jörg, meinem Achtsamkeitslehrer, als Geschenk überreicht – nicht als Antwort, sondern als weiterer Stein im Fluss.

Dyadische Oszillographie I

Dyadische Oszillographie I

Entstehungsjahr: Mai 2025

Format: ca. 594 × 420 mm (DIN A2)

Technik: Bleistift, Bambuspinsel, Feder und Koh-I-Noor Ink Tuš auf Zeichenpapier

Status: im Besitz des Künstlers

Beschreibung:

Diese Oszillographie ist keine bloße Zeichnung – sie ist ein Gespräch. Zwischen zwei Polen, zwei Stimmen, zwei inneren Rhythmen. Die Linienform erinnert an eine stehende Welle – eine dyadische Beziehung, die sich nicht auflöst, sondern fortwährend neu verschränkt.

Links: eine Ansprache des Zwischenraums selbst – ein Gedicht über das Warten, das Halten, das Nichtbrechen. Rechts: eine Reflexion über Nähe, über das Tasten, das Oszillieren zwischen Du und Ich.

Das Werk fragt nicht nach Auflösung. Es fragt nach Haltung im Schweben. Der Titel „Oszillographie“ nimmt Bezug auf elektrische Spannungsverläufe – doch hier geht es um emotionale, existentielle Spannungen, die sich durch visuelle Sprache materialisieren.

Eine Spur von Dialog, eingefasst in Form.

BIN ICH DU

BIN ICH DU – Kopie und Marker, 2025
BIN ICH DU (2025)

Drei verschlungene Zellformen, verbunden durch ein dunkles Trägermedium.
Inmitten der Formen leuchten drei Wörter: BINICHDU.

Diese Anordnung entfaltet eine dialogische Ontologie.
Es ist kein Satz im grammatikalischen Sinn – sondern ein Zustand:
Ich bin – nur im Spiegel des Du.

Die Zeichnung übersetzt das in eine organische Sprache:
neuronale Windungen, Denkfalten, Beziehungsadern.
Der Marker wirkt wie ein Lichtimpuls im Inneren des Gedankens.

Technik: bearbeitete Kopie, Textmarker Neongelb
Papier: DIN A4, Jahr: 2025
Teil einer Serie bearbeiteter Kopien – als wäre Denken ein Kreislauf aus Erinnerung, Hervorhebung und Verwandlung.

Aktuelle Linien

Linienstruktur I
Linienstruktur I (2025)
Fraktal der Entscheidung
Fraktal der Entscheidung (2025)
Der Sicherste Ort
Der Sicherste Ort (2024)
Nooide03 – Dialektische Fächerung

Entstehungsjahr: Oktober 2024

Ort: Mill Valley, USA

Format: ca. DIN A2

Material: Japanische Tinte mit Feder aus dem 19. Jahrhundert auf gealtertem Kartonpapier

Status: Vergeben

Diese großformatige Zeichnung entstand im Herbst 2024, noch ehe der Begriff der „Nooiden“ geboren war. Rückblickend lässt sich ihre Struktur als früher Vertreter dieser Gattung lesen – ein prä-Nooide, der bereits autopoietisch arbeitete, ohne sich seiner selbst bewusst zu sein.

Aus einem Zentrum brechen Linien hervor, streben auseinander, bündeln sich, widersprechen sich, ordnen sich neu. Ein dialektisches Gefüge, das in der Form die Bewegung des Denkens sichtbar macht. Keine Mitteilung, kein Ziel – sondern das Ringen mit Spannung, Richtung, Widerstand.

Gezeichnet mit historischer Feder auf gealtertem Karton: ein Hybrid aus Vergangenheit und Jetzt, aus Technik und Hand. Die Arbeit markiert einen Ursprungspunkt – als sich das Denken noch tastend entrollte, bevor es einen Namen für sich fand.

Heute ist dieses Werk nicht mehr im Besitz des Künstlers – es bleibt als Erinnerung und Spur, ein Fragment im Gesamtorganismus der Nooiden.

Nooiden – Denkembryonen

Nooide 1
Nooide 1 (2025)
Nooide 2
Nooide 2 (2025)

Ein System, das nicht transportiert, sondern sich selbst generiert.
Kein Zeichnen als Mitteilung – sondern als autopoietischer Akt.

Linien werden zu Begriffen,
Begriffe zu Strömen,
Ströme zu Blockaden.

So vermisst sich ein Denken selbst – tastend, wachsend, widerspenstig.
Vielleicht eine Sprache ohne Alphabet.
Vielleicht ein Embryo der Abstraktion.

Gezeichnet im schwarzen Theaternotizbuch, 2025, mit uni-ball GEL IMPACT 1.0 Black.
Format: minimal kleiner als DIN A5.

Schaltwerk 1 / Wahrscheinlichkeit 1:96

Fineliner auf Papier, gelbes Notizbuch (unter DIN A5) – 2024
Entstanden im Rehabilitationszentrum während der Qualifikation zur Fachkraft in der öffentlichen Verwaltung

Schaltwerk 1 – Wahrscheinlichkeit 1:96

Diese Zeichnung entstammt einer Übergangszeit – zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Rehabilitation und neuer Berufsrolle. Sie wirkt wie das geöffnete Innenleben einer Maschine, einer Denkzentrale, einer im Selbstlauf pulsierenden Struktur. Die Linien verästeln sich aus der Mitte heraus, als wolle das Zentrum sich selbst vergessen machen, um in die Peripherie zu strahlen.

Im Zentrum jedoch ist eine mathematische Notiz eingeschrieben:

1
3
×
(1/2)5
= 1/96

Ein kleiner, unaufdringlicher Bruch – und zugleich ein Programm. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage, die davon spricht, wie selten ein bestimmter Weg unter vielen sein kann. Es ist, als hätte der Zeichner inmitten aller Verästelung einen einzigen möglichen Pfad kurz ausgerechnet.

Das Diagramm bleibt kryptisch: Nummerierte Punkte, verbunden durch verschlungene, aber geordnete Linien, die keine offensichtliche Hierarchie kennen. Und doch ist alles verbunden, alles scheint aufeinander zu reagieren. Zwischen technischem Schaltplan und neuronaler Poesie entsteht eine Art künstlerisch-existenzielle Entscheidungsarchitektur – ein Versuch, Komplexität sichtbar zu machen, ohne sie aufzulösen.

Was hier geschieht, ist nicht die Darstellung eines Systems, sondern die Bezeugung seiner Durchquerung.

Unaufführbare Szene

Unaufführbare Szene

Bleistiftzeichnung, Schwarzes Notizbuch, 2025

Eine Skizze wie ein Notensatz für ein Theaterstück, das sich dem Geschehen verweigert.
Keine Figur, kein Dialog – nur Linien, die sich einander ausweichen und doch nie entkommen.
Jede Spur trägt die Möglichkeit eines Gedankens in sich, ohne ihn auszusprechen.

Es ist ein Bühnenbild der Verhältnisse, ein knotiges Probenprotokoll:
Versuchsanordnungen, Verwerfungen, Wiederholungen, ein Netz aus Möglichkeiten.
Vielleicht die Dramaturgie eines Moments, der nie gekommen ist.
Vielleicht das Archiv eines Innenraums, der sich auf der Schwelle zur Handlung immer wieder zurückfaltet.

Was sichtbar wird, ist nicht Handlung, sondern Spannung.

Protoform (2025)

Protoform

Papier, Karton, Bleistift und Lumicolor von Staedtler, lichtecht, DIN A4

Noch ohne Namen,
aber schon auf dem Weg.
Die Linien, ein innerer Code –
nicht gelesen, doch geschrieben.
Verdichtetes Davor,
eine Andeutung von Gestalt.
Kein Organ – ein Anfang.
Kein Zentrum – ein Drängen nach Mitte.
Und alles ist schon da.
Nur nicht entschieden.

TOTEM – Serie einer inneren Statik (2025)

Inmitten eines fragilen Alltags aus Umbrüchen, Reizen und Zerstreuung wächst eine Form, die sich weigert, laut zu sein.
Eine Struktur, reduziert, wiederholt, gewandelt.
Sie wirkt schlicht – fast naiv – und birgt doch eine unerhörte Kraft:
Sicherheit im Tun.
Ein Halt, nicht durch Abschottung, sondern durch Vertrauen in das eigene System.

Diese Totems entstehen nicht, um zu dominieren,
sondern um zu erinnern.
Sie stehen – aufrecht, atmend –
wie kleine Monumente des inneren Gleichgewichts.
Jede Variante ist ein neuer Körper,
jedes Blatt ein weiterer Beweis:
Aus Reduktion kann Vielfalt wachsen.
Aus Wiederholung kann Würde entstehen.

Die Linie ist nicht mehr bloß Spur,
sie ist Stimme.
Sie sagt:
„Ich bin wieder hier.
Ich kenne den Weg.
Ich gehe ihn neu.“

Diese Serie ist ein stiller Schwur an die eigene Form.
Ein Gespräch mit der Wiederholung.
Ein Gebet aus Linien.

Totem Skizze 01
Totem I
Totem Skizze 02
Totem II
Totem Skizze 03
Totem III
Totem IV
Totem IV
Totem V
Totem V
Totem VI
Totem VI

Weitere Zeichnungen

Weitere Werke folgen nach Sichtung und Digitalisierung der Archivmaterialien.

Kontakt

Du kannst mir eine E-Mail schreiben an: florian.simon.berlin@gmail.com

Referenzen & verbundene Pfade

Labyrinthstrukturen
Strukturelle und theologische Denklandschaften von Hans Georg Gusek:
www.labyrinthstrukturen.eu

Berlin Delta
Norberts Beobachtungen, Eingriffe und Kartierungen:
www.berlindelta.github.io/